Anika, in deinem Roman “So wie du mich kennst” geht es um zwei Schwestern, von denen eine stirbt. Was hat dich inspiriert?
Ich wusste relativ schnell, dass ich über zwei Schwestern schreiben möchte. Mein erster Roman handelte von einem Einzelkind und da ich selbst ohne Geschwister aufgewachsen bin, wollte ich diesmal etwas anderes haben. Tod und Trauerbewältigung spielen in meinen Büchern oft eine Rolle. Es war mir aber auch schnell klar, dass ich nicht einfach über eine lineare Trauerbewältigung schreiben möchte, sondern dass da noch ein weiteres Thema drunter liegen soll, bei diesem Buch war es dann häusliche Gewalt.
Hast du selbst schon mal Trauer erlebt?
Ja, natürlich, in ganz unterschiedlichen Formen. Ich habe noch nie jemand Gleichaltrigen verloren, habe aber meinen Partner begleitet, als dessen bester Freund gestorben ist. Diese Gespräche sind bei uns seit neun Jahren immer mal wieder auf dem Tisch und waren eine große Inspirationsquelle, wenn man es so nennen möchte. Außerdem bin ich ein paar Monate vorher in Indien gewesen und hab mir Rituale der Hindukultur angeguckt, in Varanasi, einer Stadt in Nordindien. Dort tritt man beim Trauern beispielsweise in weiß auf, was ein großer Gegensatz zu den Bräuchen in Deutschland ist. Ich fand es generell interessant zu sehen, wie unterschiedlich Menschen weltweit mit Trauer umgehen.
“Ich kann mich an keine Reise erinnern, wo mir nicht auf einem Markt an den Hintern gefasst oder hinterher gerufen wurde.”
Du schreibst auch über Gewalt gegen Frauen. Möchtest du dafür eine Sensibilisierung schaffen?
Das ist mir enorm wichtig. Ich kann mich an keine Reise erinnern, wo mir nicht auf einem Markt an den Hintern gefasst oder hinterher gerufen wurde, wo ich beschimpft wurde. Ich habe selbst gemerkt, wie oft ich das verdrängt habe und da beginnt im Grunde das Problem. Man verdrängt es, speichert es als unwichtig ab und sagt sich vielleicht “andere Länder, andere Sitten”. Es gibt so viele Mechanismen, die man anwenden kann und ich war sehr schockiert, wie oft ich das selbst gemacht habe.
In deinem Roman erlebt eine der Schwestern Gewalt durch ihren Ehemann.
Gerade über häusliche Gewalt zu sprechen liegt mir sehr am Herzen, nicht nur die innerhalb der Partnerschaft, sondern auch innerhalb von Familien. Was ich da mitbekommen habe, von Freunden oder Bekannten, ist absolut schockierend. Über ganz viel, was passiert, wird nicht geredet. Das Thema ist allgemein tabuisiert. Was ich am allerschlimmsten finde, wie Opfer oft ins Rampenlicht gestellt werden, als müssten sie sich erst mal beweisen. Das ist eine zusätzliche Form von Gewalt, während Täter oft geschützt werden. Das ärgert mich.
Anika Landsteiner schreibt in “So wie du mich kennst” über Karla, die ihre Schwester Marie durch einen Unfall in New York verloren hat. Von Franken aus fliegt Karla nach New York, um die Wohnung aufzulösen, dabei wird sie immer wieder von ihrer Trauer überwältigt und sie entscheidet sich einige Zeit in der Wohnung zu bleiben, um Marie noch mal nah zu kommen.
Zur kompletten Rezension: Anika Landsteiner – So wie du mich kennst
Mit Trauerbewältigung und häuslicher Gewalt hast du sehr schwere Themen im Buch, trotzdem wirkt das Cover leicht und sommerlich. Wie kam das zustande und durftest du mit entscheiden?
Das ist generell ein spannender Prozess und ich war da definitiv mit drin, aber auch das ganze Team von der Verlagsseite. Die standen wirklich alle dahinter und wollten das beste herausholen. Letztendlich gab es vier Cover-Vorschläge. Der Verlag hat auf Facebook eine Abstimmung gemacht, um herauszufinden, welches am besten ankommt. Mir war wichtig, dass es nicht verkitscht ist. Das Bild ist ein zeitgenössisches Gemälde von einer Künstlerin aus Kalifornien. Ich finde es sehr ästhetisch, für mich passt es super zum Buch.
Hast du dir Gedanken gemacht, ob dein Roman durch das Cover zu sehr als Frauenroman wahrgenommen wird?
Natürlich ist mir klar, dass durch die zwei Frauen auf dem Cover eine gewisse Richtung vorgegeben werden kann. Weil ich die Frage danach so oft beantworte, bin ich dazu gekommen, zu sagen, dass es ist nicht meine Aufgabe ist, Männern den Horizont zu erweitern. Entweder sie greifen aktiv zu etwas neuem und öffnen sich, so wie ich mich für einen Roman von einem Mann immer wieder öffnen muss, oder sie lassen es eben. Ich möchte mich nicht hinsetzen und überlegen, wie ich ein Cover gestalten kann, dass auch ein Mann zugreift oder eine Frau, die nur hochliterarische Bücher liest. Bei mir stehen viele Bücher, die ich ganz toll finde, bei denen mich das Cover nicht angesprochen hat. Wahrscheinlich müssten wir da alle ein bisschen offener werden.
“Unterhaltungsliteratur wird unrecht getan, wenn sie so selten besprochen wird und kein Diskurs stattfindet.”
Ist es vielleicht auch ungerecht, wie über Unterhaltungsliteratur geurteilt wird?
Was Unterhaltung wahnsinnig gut kann, ist es, dich in eine Geschichte oder eine Welt reinzuziehen. Die Bücher sind oft sehr ausgeschmückt, sie haben eine gewisse Länge und man ist den Protagonist*innen sehr nah. Zudem sind die Bücher meist gut geplottet. Dass du am Strand liegst und hundert Seiten weg atmest, das kann vor allem Unterhaltung. Ihr wird unrecht getan, wenn sie so selten besprochen wird und kein Diskurs stattfindet, obwohl es Bücher sind, die vielleicht zwei Jahre auf der Bestseller-Liste stehen und die jeder gelesen hat.
Apropos Bestseller: Dein Buch hat es auch in die Bestseller-Liste geschafft. Glückwunsch! Wie hat sich das angefühlt?
Danke! Damit habe ich nicht gerechnet. Ich wusste, dass der Verlag alles dafür macht, dass es an die Leser*innen kommt und wir hatten eine sehr hohe Vorabmarke an bestellten Büchern von den Buchhandlungen. Aber ich habe nicht mit dem Listenplatz gerechnet, gerade jetzt in Corona-Zeiten. Montags steht immer fest, wer donnerstags auf der Liste steht und ich wusste dann erst mal gar nicht wohin mit mir. Es war ja noch Lockdown und ich konnte nicht mal in eine Bar gehen und anstoßen. Das habe ich dann mit Freundinnen zuhause gemacht.
Warst du davor schon mal auf der Liste?
Nein. Ich habe nach Erscheinen meines aktuellen Buchs viele E-Mails von Buchhandlungen bekommen, dass sie mich vorher nicht kannten. Wir Autor*innen sind so viele und wenn man da nicht heraussticht, hat man kaum eine Chance wahrgenommen werden. Denn selbst wenn man in der Buchhandlung liegt, die Buchhändler*innen einen aber nicht kennen, ist es schwer verkauft zu werden. Es war so schön zu hören, dass die Buchhändler*innen begeistert waren und teilweise sogar noch mal meine Vorgängerbücher bestellt haben.

© Maximilian Heinrich
Du hast vor einigen Wochen nach Social Media-Postings eine Welle des Hasses erleben müssen. Was ist passiert?
In der SZ ist ein Porträt über mich erschienen. Der Journalist hat von Anfang an gesagt, dass er nicht nur über meinen Roman, sondern auch über mich und meine feministische Arbeit schreiben möchte. Daher haben wir viel über Feminismus und Gedankenansätze dazu gesprochen. Irgendwann waren wir tief im Thema drin und ich habe ihm diesen Satz gesagt, dass wir erst Gleichberechtigung haben, wenn unqualifizierte Frauen genauso schnell in Machtpositionen gelangen, wie es die Männer heutzutage tun. Ich meine das aber nicht als Wunsch, sondern als Indikator für den Fall patriarchaler Strukturen.
Das Zitat wurde dann in gekürzter Form in die Instagram-Kanäle der SZ ausgespielt.
Genau. Es ging los mit SZ Plan W, dann kam SZ München, dann kam der Account der SZ. Aufgrund dieses Framings ging dann eine Welle los, mit der ich nicht gerechnet habe. Ich bin keine Aktivistin, ich bin nicht wirklich bekannt, aber den Leuten war vollkommen egal, wer dahinter steckt oder worum meine Arbeit geht. Das Bild mit dem Zitat reichte aus.
Was genau kam bei dir an?
Ich bekam private Nachrichten auf Instagram, wurde getaggt und dann kamen E-Mails. In den ersten Tagen erreichten mich stündlich Nachrichten, dann wurde es zum Glück immer weniger. Ich habe mich schon gefragt, weshalb man auf die Idee kommt, eine relativ unbekannte Autorin anzuschreiben, die Romane schreibt und keine polarisierenden Sachbücher. Inhalt der Nachrichten war oft das Absprechen von Intelligenz und Kompetenz, und das in beleidigender Form.
“Der Gedanke, dass es aufhören wird, hat mich da durch getragen.”
Wie bist du damit umgegangen?
Mir haben relativ schnell Aktivistinnen geschrieben. Sie haben mir gesagt, die einzig gute Nachricht sei, dass es aufhören wird. In den ersten Tagen kommen viele Nachrichten, dann wird es weniger werden, bis es irgendwann abebbt. Der Gedanke hat mich da durch getragen. Ich habe es außerdem mit schlechten Rezensionen verglichen. Die erste knallt so richtig und dann siehst du es mit mehr Distanz. Man erkennt, dass es bei so einer Welle des Hasses nicht um einen selbst geht, sondern dass man nur eine Projektionsfläche ist.
Hast du bereits Pläne für ein neues Buch?
Im Oktober ging das jetzige Buch in den Druck und danach habe ich lange keine einzige Zeile Prosatext geschrieben, nur journalistisch. Ich hatte so ein Bedürfnis nach Inspiration und ich kann verraten, dass eine neue Geschichte da ist. Es ist aber noch nichts mit dem Verlag besprochen. Wie schnell ich jetzt was schreibe und ob das unter Dach und Fach kommt, ist noch offen. Es wird wieder woanders spielen. Das ist definitiv mein Ding, dass die Bücher Bezug zu Deutschland, aber auch immer zu einem anderen Land haben.
Vielen Dank für das offene Gespräch und viel Erfolg für dein Schreiben!
Anika Landsteiner (*1987) schaut genau hin: Ihr ist es wichtig, die Empfindungen und Erlebnisse fremder Menschen selbst zu fühlen. Als Autorin, Journalistin und Podcasterin kann sie nur so authentisch sein. Seit mehreren Jahren beschäftigt sich die Münchnerin privat wie auch beruflich mit gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, vor allem gegenüber Frauen. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen die komplexen Geschichten dieser Menschen – das, was sie beschäftigt, was ihnen widerfährt, was sie ausmacht. Ihr Podcast heißt “Über Frauen”.
Teaserbild: Maximilian Heinrich