Hannah Lühmann – Auszeit
Eine Hütte im Bayerischen Wald soll der perfekte Ort für eine Auszeit sein: Henriette will endlich ihre Dissertation weiterschreiben, ihre Freundin Paula möchte die Ruhe und Abgeschiedenheit zum Meditieren nutzen. Außerdem wollen sie sich Zeit für gemeinsame Kochabende und lange Gespräche nehmen. In der Ferienhütte wird Henriette klar, wie sehr sie in ihrer Doktorarbeit feststeckt. Die Recherche- und Schreibarbeit zieht sich hin, sie sieht keinen Sinn mehr in ihrem Thema Werwölfe, findet aber gleichzeitig nicht den Antrieb um abzubrechen.
Henriette verliert sich in Zukunftsszenarien
Zudem leidet Henriette wegen einer Abtreibung, die sie nach einer Affäre mit ihrem Ex-Chef Tobias hatte. Doch ihr ehemaliger Chef hatte eine Familie und wollte kein Kind mit ihr. Die Gedanken an das ungeborene Kind quälen sie, sie verliert sich in Zukunftsszenarien, imaginiert ein Leben mit einer Tochter, wird von skurrilen Mutterfantasien heimgesucht.
Buchtipp: Cho Nam-Joo – “Kim Jiyoung, geboren 1982”. Ein wichtiger Roman über die strukturelle Benachteiligung von Frauen in Südkorea.
Eine Konstellation, die sich nicht zum Positiven entwickeln wird
Paula als ihre älteste Freundin möchte ihr aus dem Tief heraus helfen dafür sorgen, dass sie den Kopf wieder freikriegt, praktiziert in der Hütte im Wald mit ihr Yoga und Reiki. Doch eigentlich wartet Paula auf ihren Freund Tom, der nicht kommt, obwohl es abgesprochen war. Als er dann doch auftaucht, unternehmen sie zu dritt Ausflüge, besuchen einen Wildpark. Die Konstellation nimmt eine neue Dimension an und sie wird sich nicht zum Positiven entwickeln.
Glück lässt Lühmann die Protagonist*innen nicht finden
Die Frage nach dem Sinn steht über allem und wird sich auch nach Ende des Romans nicht beantworten lassen. Die Suche ist verzweifelt und sie wird erfolglos blieben, in merkwürdige Richtungen driften. Ohne zu sehr auf die Gesellschaft einzugehen, lässt Lühmann ihre Protagonist*innen straucheln, sie lässt sie kein Glück finden. Es geht um das Zurechtfinden im Leben, um Mutterschaft, Beziehungen und Freundschaft. Die Werwölfe als thematischer Side-Kick geben dem Roman zusätzlich etwas Schauerliches.
Lesetipp: Fatima Daas – Die jüngste Tochter. Ein starker autofiktionaler Roman über weibliche Identität und Zerrissenheit
Ein bitterer Beigeschmack bleibt
Düster und bedrückend ist das Debüt der Journalistin Hannah Lühmann. Auch wenn nach der Lektüre ein bitterer Beigeschmack bleibt, kann sie damit nachhaltig begeistern. Sprachlich kraftvoll postuliert Lühmann ein Gefühl für eine Lebensrealität, die viel zu vertraut scheint und nichts Gutes verheißt. Ein starkes Debüt!
Hannah Lühmann
“Auszeit”
Hanserblau
Erschienen am 26.07.21