Pauline Delabroy-Allard: Es ist Sarah
Sarah ist Violinistin, sie raucht Zigaretten, ist viel zu stark geschminkt. Sie ist laut und extrovertiert, lacht und erzählt viel, während die Erzählerin des Romans eher ruhig ist und unauffällig, sie arbeitet als Lehrerin und hat eine kleine Tochter. Trotz aller Unterschiede ist eine Anziehungskraft zwischen beiden vorhanden, sie verlieben sich nach der Begegnung am Silvesterabend in einander, verbringen mehr und mehr Zeit miteinander. Ihre Liebe wächst und wird leidenschaftlich, rasend, ein bisschen verrückt.
Sarah reist für Konzerte mit ihrem Streichquartett um die Welt, während die Erzählerin ihr normales Leben lebt. Sie scheint immer darauf zu warten, dass Sarah zurückkommt. Sie machen Urlaube, verbringen leidenschaftliche Nächte, bis irgendwann Unzufriedenheit aufkeimt, sich Streit anbahnt. Dann trennt sich Sarah, sie fühlt sich erdrückt von der intensiven Beziehung, stürzt ihre Partnerin in ein schreckliches Loch. Kurz danach erfährt die Erzählerin, dass Sarah an Krebs erkrankt ist.
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Psychose nach der Trennung von Sarah
Nachdem sie sich noch einmal gesehen haben, flieht die Erzählerin nach Italien zu einer Bekannten. Von dort fährt sie kurze Zeit später nach Triest weiter, es ergibt sich die Möglichkeit in einer leerstehenden Wohnung unterzukommen. Sie bleibt dort und verliert sich in einer Art Psychose. Sie löst sich gedanklich von allen Menschen, die vorher in ihrem Leben waren, sogar von ihrer Tochter. Monatelang macht sie jeden Tag dasselbe, redet kaum mit jemandem, verliert das Gefühl für Zeit und Zusammenhänge komplett, bildet sich ein, Sarah sei schon gestorben. Eines Tages entdeckt sie Plakate in der Stadt, die einen Auftritt von Sarahs Streichquartett ankündigen. Ein Abgrund tut sich auf.
Eine Geschichte, die Grenzen sprengt
Es ist eine Geschichte, die Grenzen sprengt, die so kraftvoll Dagewesenes aushebelt, so intensiv vom inneren Zustand der Erzählerin berichtet, dass man dabei selbst fast den Verstand verliert. Die Erzählung ist geprägt von einer überbordenden Liebe, von der Musikalität des Werks, der Virtuosität der Sprache.
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Weiblicher Untergang
Das Debüt der französischen Autorin Pauline Delabroy-Allard sorgte für Aufsehen, als es 2018 in Frankreich erschien. Sie bekam dafür mehrere renommierte Preise, wurde von der Presse hochgelobt. Delabroy-Allard erzählt von einer Frau, die sich komplett verliert und der Gesellschaft den Rücken zukehrt. Eine Frau, die keine Möglichkeit sieht zurück zu finden, zu einem Platz, der ihr gehört und die am Ende gegen alle anderen verliert. Der Roman berauscht, benebelt, verwirrt und begeistert mit seinem großartig komponierten Untergangszenario einer Frau, die die größte Liebe ihres Lebens verlieren musste.
Pauline Delabroy-Allard
“Es ist Sarah”
Frankfurter Verlagsanstalt
Aus dem Französischen von Sina de Malafosse
Erschienen am 15.08.2019.