Nicole, du hast Anfang September dein erstes Buch (Frauen)LITERATUR veröffentlicht. Wie fühlt sich das an und wie sind die Rückmeldungen bisher?
Nicole Seifert: Es ist einfach toll. Auch wenn ich versuche, es mit leicht angezogener Handbremse zu betrachten, denn wahrscheinlich wird noch Kritik kommen. Aber bis jetzt ist es wunderbar. Etwas geschrieben zu haben ist toll und ich bin sehr glücklich darüber, wie gut das Buch bisher angenommen wird.
Bei Instagram gab es bereits kurz nach Erscheinen viele begeisterte Beiträge zu deinem Buch!
Das habe ich in dem Ausmaß nicht erwartet, auch nicht, wie oft ich für Interviews angefragt werde. Feminismus ist natürlich ein großes und sehr aktuelles Thema, aber da die Literaturwissenschaft selbst eher ein Nischenthema ist, fand ich es schwer vorherzusehen, wie viel Anklang mein Buch finden wird.
Wobei es ja eigentlich nur bedingt ein Nischenthema ist, schließlich sind Bücher etwas, was viele Menschen in ihrem täglichen Leben beschäftigt.
Das schon, aber ob es mir auch gelingen würde, ganz normale Lesende anzusprechen mit meinem Buch, das ja von der Wissenschaft kommt, da war ich skeptisch.
Nicole Seifert schreibt in ihrem Buch (Frauen-) Literatur, darüber wie Autorinnen systematisch abgewertet und vergessen wurden, etwas, das sich bis heute ins Feuilleton zieht.
Hier geht es zur Rezension: Nicole Seifert -FrauenLiteratur
Wie ist die Idee für dein Buch entstanden?
Ich war lange vor allem als Übersetzerin tätig und habe dann irgendwann Lust bekommen, wieder über Literatur zu schreiben. 2018 habe ich deshalb mein Blog Nacht und Tag gestartet. Dadurch sind – unentgeltlich – so viele Inhalte entstanden, dass ich irgendwann überlegt habe, ob sich daraus nicht etwas machen lässt. Es ist ja schon viel Arbeit, die in so einen Blog fließt. 2019 habe ich den Buchblog-Award gewonnen, der mich in darin bestärkt hat, das mit dem Buch zu versuchen. Und es war klar, dass es da eine Lücke gibt und dass noch Aufklärungsarbeit geleistet werden muss.
Inwiefern?
Wann immer ich erzählt habe, dass ich nur Autorinnen lese, weil die im Feuilleton zu kurz kommen und in meinem Regal auch und in eurem Regal auch, bekam ich vor allem skeptische Blicke. Und die Aussage, das Geschlecht sei doch völlig egal. Darum ginge es nicht, es ginge nur um Geschmack, Inhalt, Stil und Qualität. Aber so ist es eben nicht, die Sache ist komplexer. Dafür muss man etwas weiter ausholen. Und das habe ich dann versucht.
Du sprichst in deinem Buch über ganz verschiedene Aspekte des Themas, z. B. auch darüber, dass Männer das, was Frauen schreiben, oft überhaupt nicht wahrnehmen. Wann wurde dir das klar und was steckt dahinter?
Es gibt diese generelle Haltung, dass das, was Frauen schreiben, oft als sogenannte Frauenliteratur gesehen wird, und dass die Werke oft auf einer niedrigeren Stufe angesiedelt werden. Es gibt da eine Schieflage und wir sind so daran gewöhnt, nicht nur im Buchhandel und Literaturbetrieb, sondern mit Blick auf viele Aspekte unserer Gesellschaft, dass wir den status quo für normal halten. Wir sehen gar nicht, wie ungerecht das eigentlich ist.
“In den meisten Bundesländern macht man Abitur, ohne eine Autorin gelesen zu haben.”
Die Weichen dafür werden wahrscheinlich schon früh gestellt, oder?
Diese unterschiedliche Bewertung geht in der Schule los, wo wir uns diesen Blick aneignen. Schüler*innen lesen bis heute fast nur Bücher von weißen, toten Männern. In den meisten Bundesländern macht man nach dem Rahmenlehrplan Abitur, ohne eine Autorin gelesen zu haben.
Die Schule trägt also zu dieser Schieflage bei?
In der Schule lernt man, dass das, was literarisch wertvoll ist, von Männern kommt. Und damit lernt man eben auch, dass das, was Frauen schreiben, nicht so interessant und nicht so gut ist. Von allen Bereichen, die ich mir angeschaut habe, sind die Kultusministerien, die die Lehrpläne festlegen, und das Feuilleton sicher die Bereiche, in denen Veränderung am zähesten stattfindet. Verlage und Buchhandel sind da fortschrittlicher, näher an der Gesellschaft, aber die leben natürlich auch genau davon.
Du sagst in deinem Buch auch, der Begriff “Frauenliteratur” könne weg. Wieso?
Das Pendant “Männerliteratur” gibt es ja auch nicht, obwohl es natürlich Literatur gibt, deren Zielgruppe Männer sind. Der Begriff Frauenliteratur stellt eine Abwertung dar, weil er suggeriert, das sei nichts für Männer, er hält also potentielle Lesende fern. Außerdem spricht er den Themen, über die Frauen schreiben, die Wichtigkeit ab.
Der Begriff diskriminiert also Autorinnen.
Genau. Da Frauen für alle Menschen schreiben, finde ich den Begriff problematisch. Ein weiteres Problem ist, dass es überhaupt nicht klar ist, was der Begriff überhaupt bezeichnet. Oft ist damit die Genre- und Unterhaltungsliteratur gemeint. Der Begriff wird aber auch oft benutzt, um literarische Autorinnen abzuwerten, so als könnten sie mit den anderen nicht mithalten.
Es gibt immer noch viele Bücher, die mit dem typischen Erscheinungsbild der Frauenliteratur (z.B. eine Frau blickt romantisch anmutend aufs Meer) vermarktet und verkauft werden.
Das Ziel der Verlage ist natürlich, breit zu verkaufen. Problematisch ist es, wenn Literatur von Frauen downgegradet wird, um sie zu verkaufen. Krasser Nebeneffekt ist einfach, dass Männer sich nicht angesprochen fühlen. Das hält Autorinnen aus Kontexten raus. Weshalb sie dann an Sichtbarkeit einbüßen.
Wie war die Covergestaltung bei dir? Warst du in den Prozess eingebunden?
Definitiv. Es gab eine Runde, wo wir alle noch nicht so zufrieden waren, aber dann hatten wir schnell eine Lösung. Mir war von Anfang an klar, dass ich gern eine reine Schriftlösung hätte. Insgesamt waren wir uns schnell einig und ich bin sehr glücklich mit diesem Cover.
Wie kamt ihr darauf, das Wort “Frauen” durchzustreichen?
Das war tatsächlich schon bei meinem Exposé so. Frauenliteratur ist einfach Literatur. Beim Schreiben fiel mir dann irgendwann auf, dass es sogar noch eine weitere Bedeutung hat. Frauen wurden aus der Literaturgeschichte und dem Kanon gestrichen und so aus dem Bereich der höheren Literatur herausgehalten.
Apropos Literaturgeschichte: Zu Beginn meines Germanistikstudiums habe ich eine Liste mit Lektüreempfehlungen bekommen, darauf 80 Werke, ganze drei davon von Frauen. Das hat mich damals sehr gewundert.
Ich habe in der Schule eine einzige Frau gelesen, Annette von Droste-Hülshoff. Im Deutsch-LK war keine einzige Autorin dabei. Man schließt daraus entweder, es hat keine Bücher von Frauen gegeben, die Bücher waren nicht gut oder sie waren nicht wichtig.
Das sind also alles Vorurteile, die nicht zutreffen?
All das ist falsch. Frauen haben immer geschrieben, sie schreiben schon genauso lange wie Männer. Und natürlich schreiben sie genauso gut, Intelligenz und Können wurden schließlich nicht nach Geschlecht verteilt, genauso wenig wie nach Hautfarbe. Was stimmt ist, dass bestimmten Bevölkerungsgruppen die Bildung verwehrt wurde, dass das Ausüben bestimmter Berufe, auch das Schreiben, ihnen lange verboten war. Aber Frauen haben immer trotzdem geschrieben. Es gibt da unheimlich viel Großartiges und Spannendes zu entdecken.
“Einfach draufzuhauen ist keine Literaturkritik, das ist Misogynie.”
Du schreibst auch darüber, wie Autorinnen im Feuilleton besprochen werden und dass es oft harte Verrisse gibt.
Es geht mir nicht darum, dass Autorinnen nicht verrissen werden dürften, sondern darum, wie sie verrissen werden und dass es dabei oft unsachlich zugeht. Zum einen, weil es oft um Außerliterarisches geht – um ihr Aussehen, ihren Familienstand – und zum anderen sind diese Rezensionen oft voller Ressentiments. Und da die Kritiker*innen sich genauso wenig mit Literatur von Autorinnen beschäftigt haben, wie wir alle, weil sie eben nicht gelehrt und nicht geschätzt wird, fehlt ihnen oft das Knowhow, um Literatur dann richtig einzuordnen. Stattdessen dann einfach draufzuhauen, das ist keine Literaturkritik, das ist Misogynie.
Wie war dein Weg zu KiWi?
Ich habe gemeinsam mit meiner Agentin Elisabeth Ruge überlegt, wohin das Buch passen könnte. Wir haben einen Verlag gefragt, der nicht wollte, wozu man aber auch sagen muss, dass das Exposé zu dem Zeitpunkt noch anders war. KiWi hat dann mit mir zusammen überlegt, wie das Buch aussehen könnte. Meine Lektorin Mona Lang war völlig angefixt und wollte das unbedingt machen. Und mit Leuten zusammenzuarbeiten, die die gleiche Vision teilen, ist einfach was Tolles.
Gibt es bei dir schon eine Idee für ein nächstes Buchprojekt?
Ganz frisch habe ich eine Idee, aber mal schauen, was am Ende wirklich daraus entsteht. Ich denke jedenfalls, ich werde dem Thema Autorinnen und Literaturgeschichte treu bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch und ganz viel Erfolg mit deinem großartigen Buch!
Nicole Seifert ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und gelernte Verlagsbuchhändlerin und arbeitet in Hamburg als Übersetzerin und Autorin. Ihr Blog »NachtundTag«, der sich ausschließlich mit Schriftstellerinnen beschäftigt, wurde 2019 mit dem Buchblog Award von Netgalley und dem Börsenverein des deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
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