Nadine Schneider – Wohin ich immer gehe
Ein breiter Fluss und ein junger Mann, der allein antritt, um ihn nachts zu durchschwimmen – Nadine Schneiders Roman startet mit der haarsträubenden Szene einer Donauüberquerung. Johannes schafft es, er widersetzt sich der Strömung, kommt an den Grenzposten vorbei und erreicht das gegenüberliegende Ufer.
Der Roman also umkreist im weiteren Verlauf die Frage, wieso Johannes in einer Nacht im Jahr 1987 die Donau an einer Engstelle zwischen Rumänien und Serbien durchquert, starr vor Angst, aber voller Hoffnung, woanders ein besseres Leben zu finden.
Von der Flüchtlingsunterkunft zum Hörgeräteakustiker
Einfühlsam erzählt Schneider nach und nach von Johannes und seinem neuen Leben in Nürnberg, das er sich über Umwege aufbauen kann. Zunächst landet er in einer Flüchtlingsunterkunft und irgendwie schafft er es, Arbeit als Hörgeräteakustiker zu finden und kann sogar eine Ausbildung anfangen. So findet er eine Wohnung und kann sich ein bürgerliches Leben aufbauen.
Heimfahrt wird zur Reise in die Vergangenheit
Sechs Jahre später, es ist das Jahr 1993, stirbt Johannes Vater und er macht sich mit dem Auto seiner besten Freundin Giulia auf den Weg nach Rumänien, in die Nähe von Temeswar, wo er in einer deutschrumänischen Familie aufgewachsenen ist. Die Heimfahrt wird zu einer Reise in die Vergangenheit, er durchlebt seine Kindheit, die er in einem Dorf verbrachte, mit einem alkoholkranken Vater und einem älteren Bruder, der als Jugendlicher verstarb.
Außerdem begibt er sich auf die Suche nach David, einen Jungen aus dem Dorf, mit dem er eine Beziehung hatte und mit dem er zusammen durch die Donau fliehen wollte. Doch David wird nach einem Unfall weggebracht, weshalb Johannes schließlich alleine flieht.
Der Roman gibt eine Ahnung von dem Regime unter Ceaușescu, der bis 1989 als Diktator in Rumänien herrschte, unter dem Homosexualität bestraft und verfolgt wurde, und in dem Johannes schwerlich ein freier Lebens hätte führen können.
Eine Liebe unter schwierigen Umständen
Der Roman erzählt von einer Liebe unter schwierigen Umständen und schickt einen jungen Mann auf die Suche nach Identität, lässt ihn mit viel Mut einen Weg in die Freiheit machen. Johannes ist hin- und hergerissen zwischen heute und gestern, zwischen seinem neuen Wohnort Deutschland und Rumänien, dem Ort seiner Kindheit, es geht um einengende Familienstrukturen und den Prozess des Abnabelns.
Schneider schreibt präzise und kontrolliert, ihre Sätze sind irgendwie immer passgenau und wirklich schön, sie weiß, wie sie die Sprache einsetzen muss. Ich habe jede Seite genossen und das Buch sehr geliebt. Große Empfehlung!
Vielen Dank an Jung und Jung Verlag für das Rezensionsexemplar.
Nadine Schneider
“Wohin ich immer gehe”
Jung und jung
Erschienen am 16.07.2021